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Wes Sarafski
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web: www.sarafski.de

Bestellungen bitte direkt an Erich Weiß Verlag

Arbeitsgebiete: Erzählungen, Lyrik

Einzelschriften
2 Meter über dem Meeresspiegel
Gedichte. Bamberg: Selbstverlag 1994.
Der Mond, das Bett, das Glas
Mitternacht-Gedichte. Bamberg: Erich Weiß Verlag 1996.
Wespenstiche
12 Kurzgeschichten. Bamberg: Erich Weiß Verlag 2004.


Leseprobe 1

Interview mit Michel

Es ist vielleicht eine Sucht. Vielleicht verspotten mich die Leute genauso wie diejenigen, die Briefmarken sammeln oder Spielzeugeisenbahnen bauen oder Brieftauben züchten.
Alles fing mit einem Besuch in einem Schloss an und sollte mit einem Festmahl enden. Die alte Baronin führte uns durch das Gebäude. All diese verstaubten Dinge, die sich über Hunderte von Jahren angesammelt hatten. Alles hatte irgendwann irgendjemandem gehört und ihm wahrscheinlich Freude bereitet, bevor es zum Museumsstück wurde...
Und irgendwann waren wir in der Schlossbibliothek. Ich werde den Eindruck nie vergessen, den ich hatte, als ich das erste Mal diesen Ort betrat. Es ist, glaube ich, der einzige Ort, an dem man die Zeit spüren kann: Vergangenheit, Gegenwart, dann ist die Zukunft wie ein gelesenes Buch. Man muss es nur aufschlagen.
"Das sind keine Romane oder Lyrik", erklärte die Baronin. "Die meisten sind wissenschaftliche oder historische Werke von Leuten, die seinerzeit mit der Gewissheit lebten, sie täten etwas für die menschliche Entwicklung. Vieles davon wird heute als Utopie, Metaphysik und was weiß ich alles bezeichnet. Das liest niemand mehr und ist kaum in öffentlichen Archiven und Bibliotheken zu finden. Genau das ist es aber, was diese Bücher so wertvoll macht."
So etwas ist seit meiner Kindheit in mir verwurzelt. Geben Sie mir ein Rätsel oder eine Quizfrage, worauf ich die Antwort finden muss. Ein Schalter wird bei mir ausgelöst und der zündet in meinem Hirn eine mehr oder weniger große Explosion. Ich würde an nichts anderes denken, ich würde nicht schlafen, bis ich die Antwort vollständig und aussagekräftig parat hätte.
Genauso einen Schalter haben ihre Worte betätigt.
So fing alles an. Nach einem Jahr kannte ich namentlich die wichtigsten Antiquariate im Land und alle Schlossbesitzer. Ich startete Anzeigen in den größten Zeitungen, kaufte alles was nach wertvollem antiquarischen Buch aussah. Nach einem Jahr hatte ich ein Haus, das nur mit Bücherregalen gestopft war. Und ich lernte viel dazu. Nach diesem Jahr wusste ich, dass rund ein Drittel davon nicht einmal das Papier wert war, auf dem es geschrieben worden war. Aber ich hatte auch einige richtige Goldstücke darunter. Ich habe gelernt, auf was man beim Kauf achten sollte. Die Bedeutung eines unscheinbaren Wasserzeichens oder Stempels, oder einfach eines Lesezeichens oder eine Postkarte, die darin vergessen worden war; denn manchmal hatten sie mehr Wert als das Buch selber. Oder die Merkmale auf dem Umschlag, das Material, aus dem er gearbeitet wurde. Inzwischen würde ich mit geschlossenen Augen das richtig seltene und wertvolle Stück herausfinden. Heute musste ich ein paar Bücher vom Stadtzentrum abholen. Der Antiquariatsbesitzer hat es geschafft, mit den Jahren eine Menge Verbindungen aufzubauen. Ein Wunder, was man so alles bekommen konnte. Nicht einmal die Museen könnten hier mithalten. Und er schwor auf die Möglichkeiten des Internets.
Ich prophezeie keine Zukunft für die elektronischen Bücher. Man würde nie das Gefühl haben, ein Buch in der Hand zu halten. Jedes Buch hat etwas Einzigartiges an sich. Dieses Gefühl, mit den Fingern über den Einband zu streichen, die Seiten aufzuschlagen. Und dann der Geruch: Jedes Buch hat seinen eigenen Geruch, der sich irgendwann auch mit den Gerüchen seiner Besitzer vermengt hat. Faszinierend, dass er, wie eine Seele, auch Geschichten erzählen kann.
Herr Braun war ganz hinten in seinem Büro, und als ich eintrat, löchelte er mir zu und gab mir freundlich die Hand. Er holte die bestellten Bücher, dann nahm er ein Heftchen, das auf seinem Tisch lag, und schaute mich über seine Brille hinweg an.
"Das wurde mir von einer Französin angeboten. Es ist sehr alt. Gut möglich, dass es aus dem Mittelalter stammt. Ich hatte noch keine Zeit, es zu lesen, und mein Französisch ist furchtbar. Den Namen dieses Autors habe ich noch nie gehört. Es ist auch kein Buch in diesem Sinne. Es ist bestimmt sein einziges Werk. Es ist mehr wie ein Essay oder ein Interview mit einem Geisteskranken oder so etwas. Auf jeden Fall können Sie es für 500 Euro haben."
Sie können sich vorstellen, wie mein Herz bei diesem Anblick zu schlagen begann. Ich habe mit der Zeit ein besonderes Gespür für richtige Unikate entwickelt, und dieses Gespür täuscht mich nur selten. Ich wusste, ich werde gleich etwas ganz Wertvolles in der Hand halten und besitzen.

Leseprobe 2

Mörder

Alexander drehte den Schlüssel, der Motor des Lastwagens murrte ein letztes Mal, schnaufte schwer - und wurde still. Dann sprang er aus der Kabine und machte mit einem kräftigen Schwung die Fahrertür hinter sich zu.
Weiter hinten kam ein zweiter Lastwagen am Straßenrand zum Stehen.
"Hey Pescho, komm, wir trinken einen Kaffee, bevor es über die Grenze geht."
Die beiden Männer saßen auf Plastikstühlen an einem Plastiktisch und tranken verdünnten Espresso aus dünnen Plastikbechern.
"Das ist also deine erste Fahrt?", fragte Pescho. "Ich habe gehört, du hast Ingenieur studiert. Hast du nichts Besseres gefunden als in einem LKW auf den Straßen zu schuften?"
"Ach, weißt du, einen Job als Ingenieur hätte ich schon gefunden. Aber für so wenig Geld, dass es sich nicht einmal gelohnt hätte, zur Arbeit zu fahren. Wofür habe ich so lange studiert? Was hatten wir für Hoffnungen. Entweder findet man keine Arbeit, oder der Lohn ist zu niedrig. Ingenieure verkaufen Gebäck, fahren Taxi oder Lastwagen, so wie ich. Das ist kein normaler Staat, Pescho. Es ist ein Scheiß-Land. Und jetzt bin ich Fernfahrer. Alles wegen des verdammten Geldes. Meine Frau... Jetzt haben wir auch noch ein Kind. Ich möchte nicht, dass ihnen irgendwas fehlt. Verstehst du, Pescho?" Er nimmt ein Schluck Espresso, holt tief Luft. "Und was ist mit dir?"
"Ach, ich war früher in einer Fabrik. Vorarbeiter und Parteisekretär, so in der Richtung. Gut bezahlt, wenig zu tun, Sozialismus halt. Eines Tages sollten wir auf dem Betriebsgelände ein bisschen aufräumen. Dort stand ein Stahlcontainer im Weg. Den sollten wir zur Seite schieben. Wer konnte schon wissen, dass da kaum fünf Zentimeter unter der Erde ein Starkstromkabel lief. Ich bin ein alter Hase, ich halte das verdammte Ding ja nicht fest, wenn ich schiebe. Aber mein Kollege, ein ganz Fleißiger, der hält natürlich fest und schiebt. Als die blöde Karre das Starkstromkabel kontaktierte, flog ich nach hinten. Der arme Teufel aber ließ nicht los. Sein Körper zuckte noch eine ganze Weile am Container, bis wir ihn mit Brettern rausholten. Vor meinen Augen ist er gestorben. Dann haben sie mich als Vorarbeiter dafür verantwortlich gemacht und einen Prozess inszeniert. Also, ins Gefängnis musste ich nicht, aber den guten Job war ich los und seitdem lebe ich von Gelegenheitsarbeiten. Ich habe sogar mit dem Gedanken gespielt, nach Deutschland abzuhauen, aber ich habe damals, als es noch einfacher war, den Zug verpasst. Irgendwann bin ich dann hier gelandet und seitdem zähle ich die Kilometer auf den Straßen."
Beide schwiegen eine Weile, dann sprachen sie über den Weg, der vor ihnen lag, vom Schwarzgeld, das sie an der Grenze zahlen mussten, und von den Gefahren, die überall auf sie lauerten.
"Und ich sage dir noch einmal: In Rumänien musst du aufpassen und nochmals aufpassen. Sofort nach der Grenze musst du schön die Augen offen halten. Die lauern an Stellen, wo sie von oben, von den Felsen, Steine werfen können. Und unten ist der Fluss. Die schmeißen mit Steinen, bis du anhältst und aus der Kabine rausgehst. Dann entern sie die Kabine und werfen alles, was sie finden, hinaus. Unten auf dem Fluss warten andere mit einem Boot und dann verschwinden sie mit allem, was du hast. Also, egal was passiert, um Gottes willen, nicht anhalten und vor allem nicht - aussteigen. Hast du verstanden?"

Die Lkws krochen brummend und schnaufend die enge Straße hinauf, an riesigen Felsen entlang, die rechts der Fahrbahn wie eine Mauer scheinbar bis in den Himmel reichten und links endlos nach unten abfielen. Alexander starrte auf den Straßenrand, während sich sein Lkw immer weiter die Straße nach oben mühte. Und plötzlich sah er sie. Sie sprangen wie Ziegen auf den Felsen umher. Wie viele waren es, zehn, zwanzig? Der älteste war vielleicht vierzehn. Und dann fingen sie an, mit Steinen zu werfen. Die ersten landeten mit lautem Knall auf dem Dach des Führerhauses und auf der Motorhaube, aber Alexander biss die Zähne zusammen und drückte das Gaspedal bis auf das Bodenblech durch.
Die Kinder sprangen von Fels zu Fels, rannten parallel zur Straße, und immer mehr Steine prasselten auf das Blech.
Plötzlich sprang eines der Kinder auf die Straße - direkt vor den Lkw und warf mit aller Kraft einen Stein in seine Richtung. Alexander stieg auf die Bremse, der Motor jaulte auf und der Laster kam zitternd und stöhnend zum Stillstand. Dann war alles wie in Zeitlupe.
Alexander beobachtete fast hypnotisiert, wie der Stein einen Bogen nach oben beschrieb und direkt auf sein Gesicht zuflog. Es kam ihm wie eine kleine Ewigkeit vor, in der er aus irgendeinem Grund an seine Frau und seinen Sohn dachte, der jetzt wahrscheinlich in seinem Kinderbettchen schlief...
Der Stein traf die Frontscheibe mit gewaltiger Wucht, und sie zerbarst mit einem lauten Knall in tausend Splitter.
"Ihr verdammten Bastarde!", brüllte Alexander, öffnete die Fahrertür und sprang aus der Kabine.
Pescho, sein Kollege, der seinen Laster hinter dem Alexanders angehalten hatte, schrie etwas, doch Alexander hörte nichts und wollte nichts hören. Er hetzte über eine Geröllhalde den Felshang hinauf, den Kindern hinterher.
"Einen von euch kriege ich..."